Emotionale Bindung

emotionale Bindungsstörung
Viele Menschen, die in ihrer Kindheit eine fehlende emotionale Bindung erlebten, haben im Erwachsenenalter Schwierigkeiten in einer Beziehung selbst eine emotionale Bindung aufzubauen.

Nicht weil sie es nicht möchten. Im Gegenteil, die meisten Menschen mit emotionaler Bindungsstörung haben eine große Sehnsucht nach emotionaler Bindung. Sondern, weil sie schlicht und ergreifend nicht wissen wie es geht.

Beziehungsebenen:

Wird einem im Kindesalter nicht gespiegelt, dass es in einer Beziehung auch eine andere Ebene gibt, außer einer sachlichen, dann entwickelt ein Kind fortlaufend auch eine verzerrte Vorstellung von Emotionalität in einer Beziehung. Es übernimmt die Muster, die es in der eigenen Familie wahrgenommen hat und mischt diese mit eigenen, oft sehr ins übertrieben rosig gehenden Vorstellungen von Beziehung.

Emotionale Bindung bedeutet, dass man als Kind Bezugspersonen hat, die empathisch mitschwingen. Das bedeutet, die schon in der vorsprachlichen Zeit intuitiv erkennen, was mit dem Kind los ist. Und danach handeln. Das bedeutet jedoch, dass man eine reflektierte Bezugsperson haben muss, die ihre eigenen Bedürfnisse von denen des Kindes unterscheiden kann. Nicht nur kognitiv („Er hat kein Fieber, also wird die Erkältung nicht so schlimm sein“), sondern auch emotional („Er gefällt mir irgendwie nicht, heute machen wir mal langsam“). Wenn solch eine Entwicklung in der vorsprachlichen Entwicklung stattfindet, hat ein Kind die Möglichkeit sich und seine Emotionen immer differenzierter wahrzunehmen und diese in sich und auch in anderen wahrzunehmen. Siehe auch Bindungsangst.

Ein Klassiker ist die Zeit, in der Kinder sich ihrer Kräfte nicht bewusst sind und den Eltern unabsichtlich wehtun. Nimmt ein Elternteil dies als Aggression wahr und geht in die Gegenaggression, wird einem Kind eine Absicht unterstellt, die nicht vorhanden ist. Und schon bekommt ein Kind eine emotionale Rollenzuschreibung („Du warst immer so grob“), die nicht stimmt. Die emotionale Bindung bekommt einen Knacks. Die Selbstwahrnehmung verschiebt sich. Es werden Schuldgefühle generiert, wo es keine Schuld gibt. Das Kind passt sein Verhalten an, zieht eventuell seine Grenzen nicht mehr aus seiner Wahrnehmung heraus, sondern passt sich an, um nicht „so grob“ zu sein. Es erlebt seine Kraft als emotional belastet.

Keiner ist perfekt

Nun ist kein Elternteil perfekt. Und keine Mutter und kein Vater schaffte es, auch mit noch so viel Mühe ein Kind ohne die kleinen Knackse großzuziehen. Wenn aber die emotionale Bindung ansonsten stark ist, kann die Rollenzuschreibung angepasst werden. Neue Persönlichkeitsanteile können ins Bild des Kindes integriert werden und sich dort zu einem stabilen Selbstbild festigen. Ein Kind kann z. B. seine Kraft als etwas Gutes erleben, wenn sie kanalisiert werden kann. Und es kann seine Kraft einschätzen lernen. „Wenn ich zu fest zu haue tut es Anderen weh“.

Eine emotionale Bindung ist für ein Kind unerlässlich, um ein stabiles Selbstbild zu entwickeln. Das in der Lage ist ebenfalls emotional mit zu schwingen. Es ist dann vor allem in der Lage emotionale Variationen wahrzunehmen und diese nicht sofort mit sich in eine schuldhafte Verbindung zu bringen.

Ein stabiles Selbstbild lässt einen Erwachsenen gut differenzieren zwischen sich selbst und Anderen. Jemand, der ein stabiles Selbstbild entwickeln konnte hat wenig Zweifel  an sich und seiner Reaktion im Zwischenmenschlichen. Er hat eine innere Haltung, die sich jedoch anpassen lässt und er bleibt in der Lage auch unter Spannung in einer Beziehung zu bleiben. Dies ist ein wesentlicher Punkt, denn Menschen, die solch eine innere Haltung nicht entwickeln konnten werden unter Spannung meist nervös, haben ein schlechtes Gewissen und suchen die Schuld meist bei sich. Es entsteht ein hoher Anspannungsgrad und die Realität wird plötzlich gefährlich und Ereignisse bauschen sich innerlich zu dramatischen Umständen auf. Das kann soweit gehen, dass sich Angst vor Nähe entwickelt. Oder Einsamkeitsgefühle, die das spätere Leben beeinflussen.

Ein Beispiel:

Ich habe schlicht und ergreifend vergessen meiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Anstatt sich zu entschuldigen und nachträglich zu gratulieren und vielleicht den Unmut der eigenen Mutter mal für drei Tage auszuhalten, mit dem Wissen, dass es sich wieder einrenkt, fängt jemand mit erlebter schwacher emotionaler Bindung an den vergessenen Geburtstag zu einem riesen Thema zu machen. Beginnend mit inneren Vorhaltungen, Gedankenkreisen, mit selbstentwertenden Gedanken. Oft gefolgt von übertriebender Aktivität oder Totstellreflex. Dieser Mensch macht aus einer mittelgroßen Mücke einen echt großen Elefant.

Emotionale Bindung würde hier für innere Stabilität sorgen. Dafür sich selbst die eigene Vergesslichkeit zu verzeihen, weil man erlebt hat, dass dies die eigenen Mutter auch schon getan hat. Und zwar nicht nur für ihr Kind, sondern auch für sich selbst. So kann ein Kind erleben, dass eine emotionale Bindung nicht immer gleichtönig ist, sondern auch Dynamiken unterliegt. Es gibt gute und schlechte Zeiten, aber man bleibt eben miteinander verbunden und es renkt sich wieder ein. Und zwar von beiden Seiten. Nicht nur von Seiten des Kindes, aber auch nicht nur von Seiten der Bezugsperson.

Und somit wird auch Toleranz für die eigenen Schwächen vermittelt. Jeder hat eben eine Achillesferse und die ist sogar liebenswert.

Oft kaum zu glauben, nicht wahr?

Emotionale Bindung ist ein wichtiger Baustein in der kindlichen Entwicklung, um auch im späteren Leben in der Lage zu sein, eine stabile Bindung zu einem anderen Menschen aufzubauen.

Ohne erlebte emotionale Bindung ist die zwar auch möglich, kostet nur etwas mehr Aufmerksamkeit und Selbstreflektion. Aber es geht!

Herzlich

Christini Hönig