Bindungsstörung im Erwachsenenalter
Wie erkennt man eine Bindungsstörung im Erwachsenenalter?
Dieser Blog widmet sich den Auswirkungen einer ungünstigen frühkindlichen Bindung auf die Art der Beziehungsführung im späteren Leben.
Wenn Säuglinge und Kinder in den ersten Lebensjahren emotional nicht gut versorgt werden, so kann man von einer frühkindlichen Bindungsstörung oder einer emotionalen Bindungsstörung sprechen. Das zustande kommen einer solchen Störung habe ich in den o. g. Blogs versucht zu beschreiben.
Wie äußert sich eine solche Prägung nun aber im Erwachsenenalter? Eine erlebte Bindungsstörung im Erwachsenenalter zu sehen ist eigentlich gar nicht so schwer. Man entdeckt sie am Besten in der Art und Weise wie man intime Beziehungen führt. Also partnerschaftliche, bzw. sexuelle Beziehungen.
Wie regelt man Nähe und Distanz, wie positioniert man sich innerhalb einer Beziehung, wie füllt man seine Rolle als Mann oder als Frau. Oft sind da im eigenen Erleben Missklänge zu finden. Man fühlt sich z. B. ständig unterversorgt oder alleine gelassen, obwohl man irgendwie weiß, dass der Partner doch da ist und sich auch Mühe gibt. Man wird bei Kleinigkeiten überzogen wütend und irrational und bewegt sich mit seinem Partner in destruktiven Argumentationsschleifen. Man kann gefühlt nicht mit dem Partner, aber auch nicht ohne ihn.
Ich denke, dass solche Fragen in jeder Beziehung auftauchen, hat man jedoch eine Bindungsstörung erlebt, dann ist der emotionale Anteil, die eigene Unsicherheit, das Auftreten als Partner häufig etwas überzogen. Irgendwie merkt man, dass es nicht so ist, wie man sich es wünscht. Man erlebt nicht den Halt, den man sich so sehr wünscht und zweifelt an sich oder am Partner.
Wie geht man damit um?
Es gibt sicherlich mehrere Arten mit solch einem Thema umzugehen. Der einfache Weg wäre, alles auf den Partner zu schieben und sich zu trennen. Das wird oft praktiziert, bringt kurzfristig eine Entlastung, entsteht aber in der nächsten Beziehung wieder.
Ein weiterer Weg wär, sich einen schwachen Partner auszusuchen, der die eigenen Themen ausagiert. Ich sehen solche Strukturen oft in Beziehungen, wo es eine starke Frau gibt und einen Mann der sich seiner Frau unterordnet und alles tut, damit sie zufrieden ist. Solche Beziehungen gibt es auch umgekehrt, also einen starken Mann und eine sich unterordnende Frau, dies gilt jedoch in unserer Gesellschaft als altmodisch.
Ein weiterer Weg mit einer Bindungsstörung im Erwachsenenalter umzugehen wäre sich seine Themen anzuschauen und sich klar zu machen, welcher emotionale Anteil in einer Beziehung zu einem Selbst gehört und welche der Partner zu tragen hat. Denn wir sind uns einig, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und hier fängt die Beziehungsarbeit an. Hat man eine emotionale schwache Bindung in der Kindheit erlebt, dann ist es eine Herausforderung sich eine tragfähige Beziehung aufzubauen, diese als vertrauensvoll zu empfinden und sich dort nieder zu lassen.
Am häufigsten erlebe ich, dass sich Menschen wünschen, ein Partner solle all ihre Bedürfnisse am besten intuitiv erkennen und diese erfüllen. Sie erkennen sicherlich worauf ich hinaus will? Der Partner kann kein Ersatz für die mangelnde Bedürfnisversorgung sein, die man selbst frühkindlich erlebt hat. Dies ist oft ein frustrierender Punkt. An dem ich dann gefragt werde: „Warum denn dann noch eine Beziehung führen, wenn ich dort nichts kriege“.
Die Antwort darauf tut meistens weh. Ich kann nämlich mein Gegenüber nicht zwingen mich so zu lieben, wie ich es mir vorstelle und wie ich es als ideal empfinden würde. Mit meinem Partner verhandeln und Kompromisse schließen kann ich, aber wie er mich liebt und wie er mir das zeigt ist seine Sache.
An dieser Stelle steht ein Kernpunkt vieler Beziehungsschwierigkeiten. Wenn man frühkindlich einen emotionalen Mangel erlebt hat, dann schmerzt das sehr. Auch später noch. Dieser Schmerz ist nicht änderbar, er ist so erlebt und passiert. Ich glaube was es verbessern könnte ist, sich mit diesem Schmerz anzunehmen. Ihn zu sich zu nehmen und nicht auf den Partner zu projizieren, damit er ihn weniger fühlbar macht. Das heißt aber auch, dass sich der Blick auf eine Beziehung mächtig verändert. Der Partner nimmt dann nicht die Rolle des Prinzen oder Prinzessin ein, sondern einfach nur auf Grund seiner Anwesenheit berührt er einen an den Punkte, die am meisten Schmerzen bereiten. Dies zu nehmen ist sehr nüchtern und wenig romantisch und wirkt erst einmal als wäre es wenig Liebe.
Hier treten oft Zusammenhänge zwischen Trauma und Körper auf, die an dieser Stelle oft erneut auftreten oder neu entstehen. Genaueres dazu unter dem Blog Trauma – Körper.
Das denke ich wiederum nicht. Denn eine Partnerschaft ist eine, wenn man sich gegenseitig berühren lässt, auch da wo es weh tut. Und sie ist eine, wenn man immer wieder bereit ist, sich selbst ein Stück weiter anzunehmen und damit auch den Partner. Menschen, die keine Bindungsstörung erlebt haben, tun dies ganz automatische, weil sie gelernt haben, dass so ein Umgang miteinander sein kann. Manchmal tut man sich gegenseitig weh, aber man bleibt sich zugewandt und beieinander. Dann ist es leicht einen Kompromiss zu finden oder großzügig zu sein, oder ähnliches.
Wenn aber sofort die emotionale Unterversorgung anspringt und sich eine Stimme im Inneren regt, die sagt; „Ich kriege aber nicht genug“, dann hat man gleich zwei Bereiche in denen man arbeiten kann. Einmal gilt es sich mit seiner inneren Verletzung anzunehmen und zum anderen gilt es in der Beziehung sehr rational zu schauen, was eigentlich los ist und adäquat darauf zu reagieren.
Wenn Sie eine Bindungsstörung im Erwachsenenalter aushalten müssen, dann seien Sie vor Allem großzügig mit sich selbst. Geben Sie sich Zeit, sich in Ihren oft so subtilen Verhaltensschleifen zu erkennen. Sortieren sie in Ruhe und immer wieder aufs Neue, was zu Ihnen gehört und was zum Partner. Und nehmen Sie sich wie Sie sind. Denn eins ist auf jeden Fall so. Sie sind zu verstehen und Sie sind liebenswert.
Auch mit einer Bindungsstörung im Erwachsenenalter haben Sie es verdient in einer tragenden Beziehung zu leben.
Herzlich
Christini Hönig
[…] Wieder ein Beispiel: Eine Klientin steckt in einer schwierigen Phase in ihrer Beziehung. Es gibt gefühlt nur noch Streit mit dem Partner. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mehr, alles was je an Verbindung da war ist weg. Innerlich fühlt sie sich verraten und schlecht behandelt und ist wütend und fühlt sich so alleine. Jetzt kann sie sich fragen, welche der Gefühle sind denn jung und welche sind alt? Dabei erkennt sie, dass sich der Verrat, die Wut und die Einsamkeit schon ganz alt anfühlen. So als seien sie schon immer da gewesen. Das gibt Hinweis darauf, dass der Partner alte Verletzungen antriggert und sich alte mit jungen Gefühlen vermischen und ein großes Durcheinander entsteht. Genaueres dazu lesen Sie gerne in Bindungsstörung im Erwachsenenalter. […]
Lieber Herr Hönig,
wie sich verhalten wenn nicht nur unverhaeltnismaessige Beduerftigkeit auftritt in einer Beziehung sondern regelrechte Angstzustaede bis zu Panik. Ich bin mit Ihren Ratschlaegen einverstanden, nur bleibt es dennoch schwer rational zu handeln wenn Angstgefuele von einem besitzergreifen.
Liebe Anna,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich finde Ihre Beschreibung sehr gut gewählt. “Wenn Angstgefühle von einem besitzergreifen”.
Meines Erachtens geht es erst einmal nicht darum die Gefühle “wegmachen” zu wollen, sondern sie genau in Betracht zu nehmen. Die Angst und Panik soll ja einen Platz bekommen, an dem sie zu halten ist. Also an dem man sie spüren kann, ohne dass sie einen flutet. Eventuell findet man soger heraus, dass es nicht die eignen sind und sie nur von einem besitzergreifen. Um das zu schaffen gibt es gute Techniken aus der Traumatherapie, die genau dies unterstützen. Denn eines ist sicher, die Angst wird durch irgendetwas ausgelöst und durch irgendeine eigene Annahme aufrechterhalten. Findet man jedoch den Auslöser und den Zusammenhang in dem sie in einem Selbst Unruhe macht, kann der Zustand des Haltens gut erreicht werden.
Um rational zu handeln bietet es sich an diese Gefühlsflut abzuwarten. Manchmal ist es sinnvoll Regulationsmechanismen zu erlernen, die einem helfen regulativ einzugreifen.
Sie können auch gerne den Blog “Angst vor der Angst lesen”. Dort steht etwas mehr zu diesem Thema.
Weitere Ansätze sind wohl aber zu individuell, um sie öffentlich zu diskutieren.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen etwas weiter helfen.
Herzliche Grüße
Christini Hönig
[…] Zurück Vor […]
Ich würde erwarten, dass Personen, die als Kind eine Bindungsstörung entwickelt haben, überhaupt keine bedeutungsvolle Beziehung (platonisch oder romantisch) zu anderen aufbauen oder aufrechterhalten können, und deshalb lieber alleine leben.
In anderen Worten: Unter Bindungsstörung verstehe ich soziale Verarmung im Kindesalter und ich würde erwarten, dass sich die soziale Verarmung aus dem Kindesalter im Erwachsenenalter fortsetzt.
Deshalb verstehe ich nicht, warum “Bindungsstörung” im Erwachsenenalter immer mit “Beziehungsproblemen” gleichgesetzt wird. Es haben doch fast alle Menschen, die Beziehungen eingehen können, in ihrem Leben irgendwann einmal “Beziehungsprobleme”.
Liebe Leserin,
eine Bindungsstörung ist für mich nicht unbedingt eine schwere traumatische Erfahrung. Wenn wir von einem Bindungstrauma mit Folgestörung ausgehen, dann bin ich ganz Ihrer Meinung und erkenne auch, dass Menschen jeh nach Bindungsstil z. B. vermeidend reagieren. Eine Bindungsstörung jedoch definiere ich nicht zwingend als traumatisch. Und damit finde ich schon, dass Beziehungsprobleme auf prägende, jedoch nicht zwingend traumatisierende Erfahrungen zurückzuführen sind. Vermutlich wird aber in verschiedener Literatur eine unterschiedliche Nomenklatur genutzt.
Haben Sie jedenfalls vielen Dank für Ihr Interesse.
Herzliche Grüße
[…] Ankündigung für meine erste psychotherapeutischen Jahresgruppe im März 2021 zu machen. Frühkindliche Bindungsstörungen lassen im späteren Leben auf der Beziehungsebene oft Schwierigkeiten in der Gestaltung einer […]