Angst vor Nähe

Angst vor Nähe

Die Angst vor Nähe ist eines der am deutlichsten auftretenden Symptome bei Erwachsenen, die frühkindlich keine gute Bindung erfahren haben.

Aber woran liegt das?

Machen Kinder in ihrer Entwicklung immer wieder die Erfahrung, dass sie nicht angenommen sind, nicht dazugehören. Wenn emotional der Bindung irgendetwas im Weg steht. Sei es die Vergangenheit der Eltern, außergewöhnliche Belastungen oder andere Umstände. Lesen Sie dazu genaueres unter frühkindliches Bindungstrauma. Dann entwickelt ein Kind Strategien, diese fehlende Bindung selbst zu organisieren. Genau das hat etwas mit der späteren Angst vor Nähe zu tun.

Ein Kind, das gedanklich noch nicht ausgereift ist, benötigt dringend eine emotionale Bindung. Dieses Grundbedürfnis nach Nähe ist nicht mit irgendetwas zu ersetzen. Fehlt es, stellt es für ein Kind eine bedrohliche Situation dar. Es muss also geändert werden. Ein Kind beginnt eine Beziehung selbst herzustellen. Indem es sich anpasst oder Beziehung einfordert durch lautes und sichtbares Verhalten ist von Kind zu Kind unterschiedlich.

Im Alter ab drei Jahren ungefähr beginnen Kinder kausale Zusammenhänge zu verstehen. Es kannin „Wenn … Dann“ Zusammenhängen denken. Ist sein Umfeld zu unorganisiert und zu willkürlich und erfährt es in diesem erlebten Chaos keine Bindung, dann erklärt sich ein Kind die Welt in seinem „Wenn.. .Dann“ Horizont.  Als Kind kann es wahr nehmen, „wenn ich keine Bindung bekomme und den Grund der Entstehung aufgrund einer komplexen Situation nicht begreifen kann, dann kann nur ich der Auslöser sein. Dann bin ich falsch. Ich bin Schuld, wenn es nicht zu einer Bindung kommt“. Die „Schuld“ stellt so zusagen einen Schutzmechanismus dar, der willkürlichen Welt nicht einfach ausgeliefert zu sein. Dies ist zu bedrohlich und kann ja durch die Bezugsperson nicht aufgefangen werden.

Im späteren Entwicklungsverlauf bleibt ein Kind oft bei der unbewussten Annahme, dass Beziehungen nicht zu Stande kommen, weil an ihm etwas falsch ist. Das bedeutet, immer wenn es Situationen gibt, in denen Nähe hergestellt wird, kommt es zu einer inneren Erregung, die von einer falschen Annahme gespeist wird. Von der Annahme, wenn ich nicht genug tue, zu wenig gebe, nicht nett genug bin, nicht aufmerksam genug bin, dann gibt es keine Beziehung. Ein Erwachsener entwickelt Angst vor Nähe, denn er hat keine Vorstellung davon, dass Beziehung unabhängig ist von seiner „Leistung“, die er mit in die Beziehung einbringt.

Oft empfinden Menschen es als besser gar nicht erst in eine Beziehung zu gehen, statt sich diesem Gefühl der „Schuld“ zu nähern. Denn es ist den meisten nicht bewusst, dass die Annahme, sie selbst seien verkehrt, gar nichts mit Ihnen zu tun hat. Stattdessen wird die Angst vor Nähe immer stärker, um diesen inneren Konflikt abzuwehren.

Lieber bleibe ich allein, als mich dem ursprünglichen Schmerz des Ungebunden seins zu nähern, denn der ist richtig bedrohlich. Die Angst vor Nähe ist also fast so etwas wie ein Schutz. Aber stellt gleichzeitig auch den frühkindlichen Zustand genau wieder her. Nur dass die Person sich selbst den Zugang zur Nähe verbietet, dieses Bedürfnis sabotiert.

Die Angst vor Nähe zu überwinden benötigt oft eine lange Zeit. Und vor allem benötigt es eine Beziehung, die sich als stabil erweist. Dabei meine ich nicht zwingend eine intime Beziehung. Aber Angst vor Nähe mindert sich nur, wenn da jemand ist, dem ich mich immer wieder nähern kann. Ob das nun eine gute und lange Freundschaft ist, die Krisen übersteht. Oder ob es die Beziehung zu einem Tier ist, das viele Jahre das Leben teilt. Oder ob es ein Partner ist, der bleibt. Alles sind verschiedene Konzepte, die dazu beitragen, die Angst vor Nähe zu überwinden. Lesen Sie dazu gerne den Artikel frühkindliches Trauma heilen.

Oft hilft es eine therapeutische Begleitung zu haben, die immer wieder aufklärt, wo man sich gerade befindet. Die hilft immer wieder die Angst vor Nähe zu überwinden. Und die in der Lage ist eine stabile Beziehung anzubieten.

Die Angst vor Nähe kann aufgelöst werden, wenn Sie Zeit mitbringen und sich langsam von ihrer eigenen Unschuld überzeugen.

Herzlich

Christini Hönig