Frühkindliches Trauma

frühkindliches Trauma

Wenn es in meiner Arbeit um ein frühkindliches Trauma geht, sind die Umstände dessen, was traumatisiert hat meist unklar. Ein frühkindliches Trauma kann oft nicht gut erinnert werden, es wird eher geahnt. Häufig steht der Verdacht eines verdrängten Missbrauchs im Raum. Kann aber nicht durch konkrete Erinnerungen „belegt“ werden. Doch woher kann man Sicherheit kriegen über das, was einem Menschen in der frühen Kindheit passiert ist? Nicht immer kann genau recherchiert werden, was vorgefallen ist. Man muss sich also auf andere Dinge verlassen. Gut ist es dabei den Körper mit einzubeziehen, denn der Körper speichert jede Erfahrung die er einmal gemacht hat. Und er ist zugänglich, diese Zustände wiederzugeben. Dann kann man mit mehr Zeit und mehr äußerer Sicherheit genauer hinschauen, wie sich was anfühlt.

Ein Überlebensmechanismus der Psyche ist ein Abspalten von traumatischen Erfahrungen. Oft sind die traumatischen Lebenssituationen für Kinder lebensbedrohlich. Damit meine ich nicht, dass es immer eine akute Todesbedrohung gegeben haben muss. Ich beziehe mich auch auf über Jahre andauernde Ablehnung oder Bindungsthemen. Diese erscheinen äußerlich nicht sehr deutlich, man ist als Kind körperlich versorgt, emotional herrscht jedoch mehr Kälte als Geborgenheit. Solche Erfahrungen sind für einen Erwachsenen oft nicht als traumatisch erinnerbar, da sie so „normal“ erschienen. Bei genauerem hin fühlen werden dann jedoch tiefe Einsamkeitsgefühle und Ängste sichtbar, die als Kind so nicht aushaltbar gewesen wären.

Unter einem Trauma zersplittern und verzerren sich Gedächtnisanteile, damit sie erträglicher werden. Oft werden ganze Episoden so weit zersplittert, dass man sich eventuell noch an ein Sommerhaus in einem Urlaub erinnert, aber man erinnert nicht mehr, wer alles dabei war. Oder man bekommt in bestimmten Situationen bestimmte Assoziationen, eine bestimmte Gefühlslage. Man kann jedoch nicht einordnen, warum dies plötzlich geschieht. Dies könnte ein Hinweis auf ein frühkindliches Trauma sein.

Dazu kommt, dass sich die kindliche Wahrnehmung bis hin zur Pubertät immer wieder verändert. Sie hat noch keine Konstanz entwickelt. So werden sehr frühe Erfahrungen sehr umfassend wahrgenommen. Das was gehört wird, wird zeitgleich auch gefühlt, geschmeckt, gerochen und gesehen. Alle Sinne erfahren eine Situation. Je älter ein Kind wird, umso mehr differenzieren sich die einzelnen Sinne heraus. Umso getrennter kann man sich an bestimmte Erfahrungen erinnern. Es ist möglich zu erinnern, dass es im Urlaub nach Meer gerochen hat, das man die Wellen hat rauschen hören. Man kann erinnern wie sich der Sand unter den Füßen gefühlt hat.

Ein Abspalten von Erinnerungen ist im frühen Alter sehr allgemein, eine ganze Episode ist weg. Das kennt man aus seiner normalen Entwicklung ja auch. Einzelne Bilder aus der Kindheit kann wohl fast jeder generieren. Und meist kann man innerlich etwas zugänglicher werden, wenn man sich auf eine Erinnerung konzentriert. Ist ein Gedächtnisinhalt verdrängt, dann kann dort keine Verbindung geschafft werden. „Es ist weg“ oder „Da ist nichts“ sind typische Sätze, die ich an dieser Stelle höre. Es ist als sei dort eine Leere, meist in Verbindung mit einem unbestimmten Unwohlgefühl und einer hohen körperlichen Aufregung. Auch dann kann man ein frühkindliches Trauma vermuten.

Gibt es ein frühkindliches Trauma kann man erst einmal nicht wissen, was für eine Art Trauma vorliegt. Ob es ein Missbrauch war egal ob seelischer oder sexueller Natur. Ob es ein einzelnes Lebensereignis war. All das ist nicht ausschlaggebend für eine Verdrängung oder andere Methode, mit diesem Umstand klar zu kommen. Jeder Mensch, egal ob Kind oder Erwachsener, hat  eine andere Art der Abwehr von Erinnerungen an traumatische Erlebnisse. Der Umgang mit frühkindlichen Traumatisierungen ist abhängig vom individuellen Reifegrad eines Kindes und dessen Konstitution. Und natürlich vom Grad der Bedrohung.

So gib es Menschen, die bei sich stark einen Verdacht auf sexuellen Missbrauch vermuten, weil ihr Körper sich weigert unter Berührung zu entspannen, weil jedes Maß an körperlicher Nähe das Gefühl akuter Bedrohung hervorruft. Weil Unterleibsschmerzen eine sofortige Reaktion auf Sexualität sind. Und doch kann keine Situation erinnert werden, in der es eine übergriffige Situation in der eigenen Geschichte gab.

Dem Körper kann man Glauben, er würde nie eine so viele Gefühle produzieren, die den Organismus in Angst und Schrecken versetzen. In solch einer Situation kann man eventuell nie herausfinden, was in tatsächlich passiert ist. Eventuell ist die Zersplitterung der Erinnerungen so groß, dass diese nicht mehr zusammengeführt werden können. Oder der Mensch war zu klein, als das er verstanden hätte was da mit ihm passiert.

Aber man kann davon ausgehen, dass ein frühkindliches Trauma vorliegt.

Herzlich

Christini Hönig