Ständig Angst

ständig Angst
„Ich habe ständig Angst“ ist eine Aussage, die ich oft anfänglich in einer Behandlung höre.

Das Gefühl ständig Angst zu haben entsteht bei Menschen oft unter großer seelischer Belastung. Wobei sich die seelische Belastung meist auf einen, momentan unlösbar anfühlenden, inneren Konflikt bezieht. Nehmen wir zum Beispiel den inneren Konflikt, sich aus einer Opferposition zu lösen. Sich langsam aber sicher dafür einzusetzen, sein Leben selbstbestimmter und authentischer zu führen und nicht mehr die Erwartungen im Außen (ob sie nun real sind oder angenommen) zu erfüllen. Das bringt einen Mensch in einen inneren Konflikt. Der Chef erwartet von mir z. B. dass ich uneingeschränkt Überstunden mache. Mit einem Arbeitsstundenkonzept, das ich in der Schublade liegen habe, würden sich die Überstunden jedoch drastisch reduzieren lassen können, bei gleicher Arbeitsleistung. Ich traue mich jedoch nicht zum Chef zu gehen und ihm dies vorzustellen. Das macht mir Angst. Und langsam aber sicher interpretiere ich alles Unwohlsein als Angst, ich entwickel ständig Angst.

Jetzt ist es aber so, dass man ständig Angst gar nicht haben kann.

Der Organismus: der Körper und die Seele zusammen, schaffen es gar nicht ständig das Gefühl der Angst, mit allen dazugehörigen Symptomen, zu generieren. Es wäre viel zu anstrengend. Vielmehr ist es so, dass der Betroffene nichts anderes als ständige Angst wahrnimmt. Alle körperlichen Symptome, alle Gedanken, alle Gefühle werden als das Gefühl der Angst gedeutet. Jede natürliche Blutdruckschwankung, jeder fühlbarere Herzschlag, jeder Schweißausbruch, jeder Zweifel, jede schlecht durchgeschlafene Nacht. Jede fühlbare unangenehme Regung wird als Angst gedeutet. Ein Mensch, der jedoch seine Wahrnehmung nur auf eine innerer Belastung ausrichtet, wertet oft eine unangenehme Regung als „Oh je, jetzt geht es schon wieder los.“ Und steigert damit unweigerlich die innere Anspannung, was das Unwohlsein verstärkt. Schnell wandern die Gedanken dann in Richtung Angst. „Jetzt habe ich schon wieder ständig Angst.“ Hoher Blutdruck, fühlbares Herzschlagen können z. B. Symptome von psychosomatischen Herzbeschwerden sein und schon ist der Fokus stärker bei der inneren Belastung. Der eigentliche Konflikt, nämlich den Wunsch sich aus der Opferposition zu entlassen und endlich etwas selbstbestimmter zu sein, tritt dabei in den Hintergrund. Und damit verbaut man sich die Möglichkeit einen Zugang zu den eigenen Stärken zu halten. Die Möglichkeiten zu bemerken, worum es wirklich geht und dort anzusetzen. Oder etwas zur Beruhigung zu tun, sich zu entspannen oder erst einmal abzuwarten treten in den Hintergrund.

Die Angst sich dem Chef mit einem neuen Vorschlag zu stellen erfordert vermutlich etwas Selbstbewusstsein, die Überzeugung dass der eigene Vorschlag gut ist. Es erfordert sich darzustellen und sich mit einer eventuellen Ablehnung zu konfrontieren. All diese Anteile können nicht gezielt wahrgenommen werden, wenn man sich hinter dem Gefühl ständig Angst zu haben versteckt.

Damit stellt man sich in eine Sackgasse. Man übersieht, dass kleine Hindernisse überwunden werden können. Das man sein Selbstbewusstsein eventuell an anderer Stelle etwas üben kann, dass man sich Hilfe und Unterstützung holen kann. Und man nimmt sich die Chance zu wachsen. Ständig Angst zu haben ist oft eine unbewusste Abwehrstrategie, sich auf sein Potential einzulassen.

Und je mehr man sich das verweigert umso mehr fühlt man sich, als habe man ständig Angst.

Da Sie nun wissen, dass kein Mensch ständig Angst haben kann, versuchen Sie doch einmal Ihren Fokus auf das zu richten, was sich gut anfühlt, was Sie stützt, was gut klappt. Sie werden sehen, da ist mehr als Sie für möglich halten.

Herzlich

Christini Hönig