Sequentielle Traumatisierung

sequentielle Traumatisierung
Oft erlebe ich in der Traumatherapie eine sequentielle Traumatisierung. Ich meine damit, dass es eine Wiederholung traumatisierender Situationen gibt.

Oft sind die einzelnen traumatisierenden Situationen nicht sehr schlimm, sie halten aber den Betroffenen in Atem.

Wenn ein Mensch von frühster Kindheit an immer wieder Erlebnisse des verlassen Seins macht, dann ist nicht davon auszugehen, dass er dies im Jugend- bzw. im Erwachsenenalter nie mehr erlebt.  Bis dahin hat er schon die Vorstellung entwickelt, dass zu einer Beziehung das Verlassen-werden dazu gehört. Das heißt er deutet jedes Anzeichen von einer Distanzierung innerhalb einer Beziehung nicht als eine Distanzierung, sondern als erstes Zeichen des Verlassen-werdens. Mehr lesen Sie gerne unter Bindung und Beziehung.

Abgesehen davon wird man im Leben hin und wieder von Menschen verlassen, dass gehört eben dazu. Wenn ein Mensch jedoch in der frühen Kindheit erlebt, dass wichtige Bezugspersonen plötzlich nicht mehr da sind. Und damit meine ich nicht nur, dass sie tatsächlich aus dem Familienverbund rausgehen, durch Trennung oder Tod. Sondern ich zähle auch dazu einen Klinikaufenthalt einer Bezugsperson, oder eine tiefe Krise einer Bezugsperson, die dann evtl. in einer Depression steckt und emotional nicht mehr erreichbar ist. (siehe auch emotionale Bindungsstörung) All das sind ja Beziehungsabbrüche, die einen Menschen früh sehr prägen.

Dazu kommt, dass sich Kinder die Welt nach ihrem eigenen Verständnis interpretieren.

Das bedeutet, sie wollen verstehen warum etwas so ist. (Haben Sie sich mal mit einem Dreijährigen unterhalten?) Wenn so ein Abbruch nicht erklärt oder verständlich gemacht wird, dann rechnet sich ein Kind aus, dass es nur etwas mit ihm selbst zu tun haben kann. Also wenn die Situation nicht im Außen erklärbar ist, dann kann sie ja nur etwas mit ihm selbst zu tun haben. Schnell entwickelt ein Kind also die Überzeugung, “ich bin es nicht Wert, dass Menschen bei mir bleiben” oder “ich mache etwas falsch, dass sich Menschen von mir abwenden”. Nichts davon mag stimmen, aber für ein Kind ist es einfacher einen Zusammenhang herzustellen, der gar nicht existiert, statt sich der Willkür des Lebens auszusetzen. Das ist viel zu bedrohlich.

Passieren solche Situationen öfter, also Verlassenheitsszenarien, dann kann man langsam die sequentielle Traumatisierung erkennen. Eine Wiederholung kann sein, dass in einem wichtigen Moment die Bezugsperson fehlt. Da reicht es dass der Vater nicht beim Kindergartenfest ist, sondern die Mama im Krankenhaus besucht.

Wie denken wir jedoch über unsere Kinder?

Wir denken immer noch, wir schützen sie, wenn wir ihnen Krankenbesuche vorenthalten. Wenn wir so tun, als würde sich nichts ändern, wenn es eine Krise in einer Beziehung gibt. Oft enthalten wir ihnen ihren eigenen Prozess in einer Situation vor.

So viele meiner Klienten berichten, dass ihnen immer wieder gesagt wurde, der Papa/die Mama kommt wieder nach Hause, kam sie aber nicht. Sequentielle Traumatisierung kann ich da nur sagen. Uns muss klar sein, dass Kinder kleine Seismographen sind und dass wir als Kinder ebenfalls kleine Seismographen waren. Wie oft erlebe ich, dass jemand zu mir kommt und sagt, seine Kindheit sei unauffällig gewesen. Wenn wir uns dann aber ans diese wagen Gefühlszustände herantasten, die ihn seit der frühsten Kindheit begleiten. Mit all den Vorstellungen, wie die Welt funktioniert.

Dann sind wir ganz schnell in einer völlig anderen Welt. In einer Welt, wo es Angst gibt Verlassen zu werden, obwohl es nie jemand getan hat, aber die Eltern damit gedroht haben. Wo es eine Mutter gibt, die zwar nie gegangen ist, die aber immer wiederbetont hat, wie anstrengend das Kind denn ist und dass es sie umbringe. Wir bewegen uns dann in der Welt, der Suggestion und der Manipulation. Diese zu erkennen und zu durchbrechen ist dann die Aufgabe, damit die sequentielle Traumatisierung ein Ende nehmen kann. Damit sich der Teufelskreis der Reinszenierung aufbrechen kann und ein Erwachsener Mensch zwischen frühkindlichen traumatisierenden Erfahrungen und der heute vorhandenen Realität unterscheiden kann.

Wie kann man eine sequentielle Traumatisierung erkennen?

Erst vor einer Stunde schrieb mir eine Klientin, der Schmerz sei so tief. Wenn er so tief ist, dann kann man eine sequentielle Traumatisierung vermuten. Man kann annehmen, dass sich der Schmerz aus der aktuell auslösenden Situation mit dem Schmerz der wieder und wieder erlebt wurde vermischt. Und es gilt dies zu trennen. Was gehört zu jetzt? Und was zu früher? Welcher Schmerz gehört zu den Situationen, die ich auf meinem Weg erlebt habe?

Eine weitere Klientin hat eine sequentielle Traumatisierung erlebt und kann schon richtig gut den Schmerz der kindlichen Anteile von heute unterscheiden. Nun kommt eine neue Komponente mit rein und das ist der jugendliche Schmerz. Der fühlt sich auch doof an, aber bringt eine neue Qualität mit rein, die der Wut und der Aggression. Und es ist so wichtig, dass die auch sein darf. Damit kann sie sich nämlich prima abgrenzen, wenn es mal nötig ist.

Sequentielle Traumatisierung bedeutet, dass es sich immer wiederholende Komponenten im Leben gab, die eine Ursprungsverletzung vertieft hat oder wieder berührt hat.

Oft wird es so verstanden, als hätte man durch ein verändertes Verhalten die  sequentielle Traumatisierung aufhalten können. Man gibt sich die Schuld, man denkt, “hätte ich es nur anders gemacht, dann wäre alles nicht so schlimm”. Dem muss ich wiedersprechen. Denn vor allem die Verletzungen auf der Beziehungsebene gehören zum Leben dazu. Jeder verliert mal einen Freund oder Freundin, jeder wird mal nicht gesehen oder wahrgenommen. Es gehört dazu sich mal zu streiten oder anderer Meinung zu sein. Nur wenn der Ursprungsschmerz noch nicht integriert ist, kann die richtige Interpretation nicht geschehen, sondern die sequentiell entstandene Traumatisierung wird wieder und wieder ausagiert und reinszeniert.

Wenn sie sich also in den Schleifen einer sequentiellen Traumatisierung wiederfinden, dann bleiben Sie ruhig. Machen Sie sich auf die Suche der Ursprungsverletzung, integrieren Sie diese und schon bald werden Sie in der Lage sein alten von neuem Schmerz zu unterscheiden. Dann kann die sequentielle Traumatisierung beendet werden.

Herzlich

Christini Hönig