Bindung und Beziehung

Bindung und Beziehung
Der Zusammenhang zwischen Bindung und Beziehung ist für mich einer der Kernzusammenhänge meiner Arbeit. Dieser Artikel liest sich im ersten Abschnitt evtl. etwas lehrbuchartig, da ich Ihnen gerne die vollständigen Informationen verkürzt darstellen möchte. Im zweiten Abschnitt wird es wieder etwas gefälliger.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle kurz die verschiedenen Bindungstypen vorstellen. Und daraufhin die Erfahrungswerte, wie ein Zusammenhang zwischen frühkindlicher Bindung und späterer Beziehungsführung hergestellt werden kann.

Bindung bezeichnet die emotionale Versorgung, die ein Säugling bis hin ins Kleinkindalter erlebt. Sie ist die Grundlage dafür, dass sich ein Mensch weiterentwickeln kann. In den 60er bis 80er Jahren wurde die bekannteste Forschung zu Bindungsverhalten durchgeführt und ist bis heute Grundlage für die weiterführende Forschung von Bindungs-, bzw. Entwicklungstheorien.

Bindung ist erst einmal auf die Mutter – Kind Beziehung ausgerichtet, mit der Annahme, sie versorgt ein Kind primär. Diese Bindung beschreibt, dass die versorgende Person in der Lage ist, die Bedürfnisse des Kindes intuitiv zu erkennen, sie richtig zu interpretieren und angemessen darauf zu reagieren. Kleinkinder sind in der Lage zu mehreren Personen eine Bindung aufzubauen, allerdings nur wenn die Bindung zur erstversorgenden Person stabil ist.

Kinder können unterschiedlichen Formen der Bindung zeigen. Dies kann man am Besten in Situationen erkennen, in der die Bezugsperson das eigene Kind verlässt. Dann zeigt sich das Bindungsverhalten am deutlichsten. Es wird sozusagen aktiviert.

Bindungstypen  (11 – 18 Monate alt):

a) Sicher gebundene Kinder:

Sie zeigen beim Verlassen der Bezugsperson deutliche ihre Emotionen. Sie weinen, ihr Stress nimmt zu (Cortisolanstieg) und sie beruhigen sich erst wieder, wenn sie die Bezugsperson wieder da ist und tröstet.

b) Unsicher vermeidend gebundene Kinder:

Diese Kinder wirken bei Verlassen der Bezugsperson unbeeindruckt, kommt die Bezugsperson wieder wird diese ignoriert. Der Stressanstieg ist jedoch vorhanden und wird durch die Bezugsperson nicht reguliert. Der Cortisolpegel nimmt erst nach Stunden ab. Diese Kinder sind langfristig gestresst.

c) Unsicher ambivalent gebundene Kinder:

Diese Kinder sind massiv verunsichert, wenn die Bezugsperson sie verlässt, sie weinen und zeigen ihre Emotionen. Kommt die Bezugsperson jetzt aber zurück, dann sind die Kinder hin und hergerissen sich von ihr trösten zulassen oder sie abzulehnen. Auch diese Kinder erleben eine langfristige Stresssituation.

d) Desorganisiert gebundene Kinder:

Diese Kinder haben keine einheitliche Strategie für Bindungsverhalten. Sie zeigen sich wie erstarrt und fangen an bizarre Verhaltensweisen zu zeigen. Sie schaukeln vor und zurück, oder werden starr. Das alles bei völliger Emotionslosigkeit. Diese Kinder sind durchgehend gestresst.

Das ist sozusagen die Kurzfassung der Bindungstheorien.

Was für Rückschlüsse kann man von Bindung auf die Beziehungsführung im späteren Alter schließen?

Bindung ist die erste Beziehung, die wir erleben. Unsere eigene Bindung gibt uns eine Blaupause für die Art und Weise, wie man auf sich selbst schaut und wie man auch auf andere schaut. Und mit ihnen in Kontakt tritt.

Es gibt nur einen ganz klaren Zusammenhang, der belegt ist. Kinder, die eine stabile Bindung erfahren haben, geben auch eher eine stabile Bindung an ihre Kinder weiter. So weit so gut.

Wie ist es aber mit Bindung und Beziehung?

Erfährt ein Kind eine gute Bindung so kann man ein paar Vorhersagen für seine weitere Entwicklung treffen. Durch die geringen Stresserlebnisse, hat ein Kind bessere Voraussetzungen Allergien zu vermeiden und weniger stressanfällig zu sein. Es hat mit höherer Wahrscheinlichkeit später weniger psychosomatische Störungen, sein Selbstwert ist größer, die eigenen Beruhigungsmethoden sind ausgereifter, es ist empathischer und sozial geschulter. Das sind alles Hinweise darauf, dass es mit den ganzen Herausforderungen, die eine Beziehung mit sich bringt, besser zurechtkommt, als Kinder, die sich erste einmal an eine schwierige Lebenssituation anpassen müssen.

Diese Kinder reagieren anders in späterer Entwicklung. Sie gehen immer mit dem Grundgefühl gestresst zu sein in eine Beziehung. Beziehung ist nicht der sichere Hafen und der Ort, wo Geborgenheit und Schutz zu finden ist. Sondern es wird Misstrauen und Anspannung entwickelt, die dann natürlich erst einmal aus dem Weg geräumt werden muss. Hier können eher stressausgelöste Symptome und Erkrankungen zum Tragen kommen, die kompensatorisch auf eine schwierige Bindung hinweisen können. Lesen Sie gerne dazu auch meine Beiträge zu psychosomatischen Beschwerden.

Ein Beispiel für schwache Bindung

Stellen Sie sich vor ein Kind erlebt in seinen ersten 1 – 3 Lebensjahren keine vollkommen sichere Bindung, sondern es erlebt eine gestresste Mutter, die Beziehung der Eltern stagniert, es gibt viel Streit und Kummer. Die Mutter tut was sie kann, schafft es aber nicht, sich wohlwollend um sich selbst  und somit um ihr Kind zu kümmern. Es entsteht längerfristig ein Missklang zwischen Mutter und Kind. Damit ist ein Grundstein gelegt. Ein Grundstein für eine andere Art der Entwicklung. Lesen Sie dazu gerne Bindungsstörung im Erwachsenenalter.

Auf einen direkten Zusammenhang zwischen Bindung und Beziehung kann man schließen. Wenn auch nur erst einmal in groben Zügen. Denn ein Kind entwickelt schnell eine Strategie um mit einer schwierigen Bindung zurechtzukommen. Wie Sie oben schon gelesen haben, hat ein Kind, das ambivalent gebunden ist, einen Zwiespalt entwickelt. Bin ich wütend oder suche ich Nähe. Ein desorganisiertes Kind hat die Strategie entwickelt gar nicht erst in Beziehung zu gehen und ein unsicher gebundenes Kind tut so, als gehe es nicht in Beziehung. All diese Strategien dienen der Weiterentwicklung in dem Rahmen in dem ein Kind Einfluss nehmen kann.

Im Laufe seiner Kindheit und seines Heranreifens erlebt ein Kind aber auch andere Beziehungen. Es kommt in den Kindergarten und merkt hier vielleicht, dass Anpassung gar nicht so schlecht ist. Oder Frechheit siegt. Es entwickelt ein immer größeres Feld der Strategien, wie man in Beziehungen sein kann. Das einzige was sich von einem sicher gebundenen Kind unterscheidet ist, dass eine Beziehung erst einmal Stress bedeutet. Welchen man aber eben auch durch unterschiedliche Strategien entladen oder ausagieren kann.

Reaktionen im Körper:

Hier kommt die Körperebene ins Spiel. Stress sitzt im Körper und wird auch über ihn abgebaut. Methoden können ganz unterschiedlich sein. So gibt es Kinder, die sich ständig bewegen, oder Haare ziehen, die ihr Schnuffeltuch bis ins hohe Alter brauchen. (An dieser Stelle eine Bitte: heben Sie diese Dinge auf, die sind später immens wichtig). Wie man den Körper in der Therapie mit einbeziehen kann lesen Sie am besten im Blog Körpertherapie.

Und dann endlich beginnt ein Heranwachsender mit all den Möglichkeiten, sich an Menschen zu binden, Beziehungen einzugehen. Und er tut das unter Einbezug all der Möglichkeiten, die er in seinem Leben erlebt hat. Das kann eine ganze Weile ganz gut funktionieren. Ohne Beschwerden, ohne Konflikte kann dieser Mensch sich sehr gut in einer Beziehung zurechtfinden. Bis dann irgendwann einmal eine Situation entsteht, die an das ganz früh erlebte anklopft. Zum Beispiel ein Streit, der eine unerwartete Schärfe mit sich bringt.

Und plötzlich fängt das ganze Beziehungsgerüst an zu wackeln. Denn jetzt entsteht dieser Stress wieder, den man frühkindlich erlebt hat. Plötzlich setzen Automatismen ein, die man an sich nicht kennt, weil sie eben so lange nicht mehr genutzt worden sind. Oder man reagiert ohne sich klar zu sein, was eigentlich gerade passiert und man reagiert so, wie man sich gar nicht kennt.

Alles was man weiß ist nur: man erlebt einen Schmerz und eine Verzweiflung in einer Tiefe, die man so nicht einordnen kann. Und plötzlich muss man sich konfrontieren. Ich möchte hier also zeigen, dass es nicht darum geht, beziehungsfähig oder nicht zu sein. Denn Beziehungsfähig ist man, sonst hätte man ja in seiner Kindheit keinen möglichen Umgang mit der Situation gefunden. Aber man ist eben beziehungsfähig auf frühkindlicher Ebene und es gibt dann die Chance, dort einmal hinzuschauen und sich selbst besser zu erkennen.

Dieser Prozess ist emotional oft sehr schmerzlich und macht ein Gefühl, als würde die Basis wegbrechen. Ich sage bewusst „es macht so ein Gefühl“, denn die wenigsten Menschen, die ich in diesem Prozess erlebt habe, brechen tatsächlich weg. Eventuell kann man ein oder zwei Tage nicht arbeiten, oder man kann eine Zeit lang schlecht schlafen. Aber die Aufgewühltheit in der Tiefe gibt einen Einblick auf den frühkindlichen Stress. Oft ist das der Zeitpunkt, an dem psychosomatische Beschwerden auftreten, die dann gelöst werden können.

Von diesem Punkt an kann man etwas Grundlegendes in seinem Leben ändern. Nämlich die Art und Weise, wie man Beziehungen führen möchte. So wie sie einem Selbst entsprechen und nicht, wie man sie auf Grund der frühen Umstände leben musste.

Egal was Sie erlebt haben, seien Sie sich sicher: Sie können Beziehung leben.

Bindung und Beziehung stehen zwar in einem sehr engen Zusammenhang, aber es ist nicht unabänderlich.

Herzlich

Christini Hönig

 

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