Verdrängter Missbrauch

Verdrängter Missbrauch
Oft wird bei mir die Frage gestellt, ob bei den vorliegenden Symptomen ein verdrängter Missbrauch vorliegen kann. Diese Frage ist für mich oft sehr schwer zu beantworten. Denn ich kann nur einen Klienten in seinen Empfindungen und Ahnungen und Assoziationen begleiten und bestärken. Aber ich kann nicht in die Vergangenheit schauen und sagen, was genau dort passiert ist.

In meinem Blog „Kindheitstrauma überwinden“ habe ich beschrieben, wie die kindliche Wahrnehmung funktioniert. Heute möchte ich Ihnen einen weiteren Faktor nahelegen. Den Faktor der Suggestion.

Wir Menschen sind suggestionsanfällig. Dies ist sowohl eine große nutzbare Stärke, denken Sie nur daran das Autogenes Training eine Methode der Selbstsuggestion darstellt und zu tiefen Entspannungsmomenten führt. Allerdings führt Suggestion auch genau in die andere Richtung. Ich kann eben auch einen Erregungszustand herstellen, der aufgrund von Suggestionen entstanden ist.

Wenn man sich nun also in einer Therapie befindet und erlebt, wie der eigenen Körper in verschiedenen Situationen einen erhöhten Erregungszustand erlebt, man diesen jedoch nicht auf einen ursächlichen Auslöser zurückführen kann, weil z. B. keine konkrete Erinnerung vorliegt, dann ist es wichtig zu wissen, dass solch ein Zustand, der frühkindlich entstanden ist, erst einmal WAHR ist.

Das ist für mich der wichtigste Punkt. Frühkindlich erinnerte Zustände, die sich meist körperlich zeigen, sind erst einmal wahr. Was sich dahinter verbirgt, kommt manchmal ans Tageslicht, manchmal aber auch nicht. Ich versuche an diesem Punkt möglichst wenig zu interpretieren und verstärkt den Klienten ernst zu nehmen.

Mein Anliegen ist es darum, diese frühkindlichen Zustände wahrnehmbar zu machen. Oft werden gerade diese Zustände weggedrängt mit Aussagen wie:“ Stell dich nicht so an“ oder „was hast du denn jetzt schon wieder“. Meist passiert das im Erwachsenenalter gar nicht durch eine umliegende Person, sondern ist so fest innerlich verankert, dass man selbst diese Sätze in sich trägt. Viele sind noch aufgewachsen mit solchen Sätzen wie: „Kinder mit nem Willen, kriegen was auf die Brillen.“ Und für ein Kind reicht es aus wenn solch eine Haltung innerhalb der Familie galt, es muss gar nicht zu einem Eklat kommen. Solch eine Haltung einem Kind gegenüber ist für ein Kind wahrnehmbar. Solch eine Haltung zeigt sich natürlich auch in einem besonderen Verhalten. Wie sch dann meist in der biografischen Arbeit herausstellt.

Jetzt möchte ich deutlich machen, dass dies nicht sofort ein verdrängter Missbrauch ist. Es zeigt nur, wie sehr sich das Wissen um die kindliche Psyche und die kindliche Seele in den letzten vierzig Jahren verändert hat. Dies wiederum führt jedoch dazu, dass man heute weiß wie empfindlich eine kindliche Seele ist und was sie braucht.

Es kann also sein, dass ein verdrängter Missbrauch im Raum steht, jedoch keine ausreichenden inneren Beweise im Sinne von Erinnerungen vorhanden sind. Und trotz allem zeigt der Körper ein überaus hohes Maß an Erregung, wenn es um Nähe oder um Intimität geht. Wenn es darum geht Sinnlichkeit zu erleben. Damit meine ich nicht zwangsläufig erotische Sinnlichkeit, sondern ein körperliches „sich mit sich wohlfühlen“.

Es erst einmal darum, diese überhöhte Stressreaktion ernst zu nehmen. Denn der Körper würde nicht auf die Idee kommen solch eine anstrengende Reaktion ohne einen ausreichenden Grund zu generieren. Und es kann sich herausstellen, dass man klar erinnert in welchem Umfeld man groß wurde. Eventuell ein schambesetztes, kühles zu Hause. Mit Eltern, die selber einen geringen Zugang zur eigenen Sinnlichkeit hatten. Zum richtigen Entwicklungszeitpunkt kann dies für ein Kind durchaus einen hohen Stressfaktor darstellen, ohne dass ein verdrängter Missbrauch vorliegen muss. Trotzdem kann solch eine Umgebung für ein Kind traumatisch sein. Und um jetzt einmal eine Lanze für die Eltern zu brechen. Es geht mir an dieser Stelle auch nicht darum die Verantwortung für das eigene Leben immer den Eltern zuzuschieben. Körperlich unklare Symptome sind jedoch oft auf Kindheitskonflikte zurückzuführen. Sie sind aber auch gut im Erwachsenenalter wieder aufzulösen.

Es kann aber eben auch sein, dass sich unter all den o. g. Symptomen tatsächlich ein verdrängter Missbrauch verbirgt. Diesen gilt es genauso ernst zu nehmen, wie alle anderen Symptome und Erinnerungen auch. Und es gilt mit einem verdrängten Missbrauch ebenso sensibel und feinfühlig umzugehen, wie mit allen anderen Themen auch, die im Erwachsenen Leben einen Störfaktor bilden.

Der erste Schritt wäre sich ernst zu nehmen mit allen wagen Empfindungen, Assoziationen und Ahnungen, die man so in sich hat.

Sie sehen also, dass es so viele unterschiedliche Faktoren und Wirkmechanismen im eigenen Leben gibt, dass es oft schwer ist ganz genau zu sagen, was einem eigentlich genau passiert ist. Aber oftmals ist es auch ein verdrängter Missbrauch.

Herzlich

Christini Hönig